SonntagsLese!

Im Gespräch mit der Journalistin Danuta Schmidt über die SONNTAGSLESE

Die Sonntagslese blickt als Veranstaltungsreihe bereits auf eine lange Geschichte zurück. Kannst Du das Konzept der Sonntagslese kurz beschreiben?

Das Konzept ist Nähe!

Auf Deiner Website www.danutaschmidt.de befindet sich u.a. eine Rückschau auf die Veranstaltungen der Sonntagslese. In der Gästeliste ist durchaus ein ostdeutscher Schwerpunkt sichtbar. Gibt es diese ostdeutsche Präferenz?

Natürlich ist das auch Teil meines Konzeptes. Für mich war damals, 2010, vor allem eines klar: Ich möchte Menschen verbinden. In meiner Arbeit als Gästeredakteurin beim RBB Fernsehen hatte ich Erfahrungen im Umgang mit prominenten Menschen. Ich war für diese Talkgäste zuständig und habe sie auch kennengelernt, von Alfred Biolek, BOSS HOSS bis zu a-ha oder Andy Bell von der britischen Pop-Legende ERASURE.

Die Arbeit mit Künstlern ist vor allem eines: Fingerspitzengefühl. Offenbar hatte ich es, mir wurde immer viel anvertraut hinter den Kulissen. Nina Hagen fragte mich bspw., welche Schuhe sie tragen solle. Sie kam mit lustigen Micky-Maus-Ohrringen.

Zurück zur Frage: Warum vor allem ostdeutsche Gäste… Ich spürte 2010 natürlich den erhöhten Gesprächsbedarf von Menschen mit ostdeutscher Herkunft und ich spürte auch, dass es etwas geben muss, um die eigene Identität zu stärken, Selbstvertrauen zurück zu erobern, Heimatgefühl zu festigen. Am Ende war und ist es auch sehr viel psychologische und philosophische Arbeit in meinen Veranstaltungen gewesen und wird es immer mehr. Die Literatur, die Kunst, ein Buch war natürlich immer der Anlass. Und ich wollte auch den „vergessenen“ tollen Künstlern der DDR eine Bühne geben. Ich wollte etwas Feierliches, am Sonntagmorgen und ich wollte ein Format. Etwas ganz Stabiles, Verlässliches, Verbindliches. Und das Publikum kam und kommt und immer fein gekleidet. Alte Schule. Gute Schule.

Was macht die ostdeutsche Biografie für Dich so spannend?

Es ist zum einen meine eigene Herkunft und ich war und bin glücklich und dankbar, dabei gewesen zu sein und mitgestaltet zu haben: In der DDR. In den ruhelosen Neunzigern und nun sind wir im deutschen (oder globalen) Turbokapitalismus angekommen. Oder ist das auch schon Vergangenheit?

Zum anderen will ich immer wieder (und Wichtiges muss man wiederholen, damit es nicht vergessen wird, es ist wie mit altem Wissen) an die Errungenschaften der DDR erinnern, die sehr sinnvoll waren, ob die Rechte der Frau, für unsere Kinder, Schulbildung, Schülerkonzerte, Sportschulen, Begabtenförderung, Freundschaft mit anderen Ländern, nicht nur auf diplomatischer Ebene, Solidarität, Verbundenheit, Miteinander. Nachhaltige Systeme wie SERO oder das lösungsorientierte Denken, wenn Mangel herrschte. Ich glaube, dass jeder Ossi dadurch nach einer Lösung suchen und sie finden kann. Das war doch kein Mangel. Im Gegenteil. Und natürlich sind das alles meine persönlichen Erfahrungen in meiner Generation und in Thüringen, meiner Heimat. Ich war 18 Jahre alt, als die Mauer fiel.

Die ostdeutsche Biografie ist für mich spannender, weil jede dieser Biografien Brüche hat durch die Wende, die es im Westen einfach nicht gibt. Diese Brüche machen die Menschen aus dem Osten resilienter, also widerstandsfähiger. Und das hilft Gesamtdeutschland. Wir haben einfach unglaublich viel mehr Erfahrungen in der gleichen Zeit gesammelt.

Die Sonntagslese hat bereits zahlreiche Köpfe aus Kultur und Politik präsentiert. Gab es Veranstaltungen, die für Dich in besonderer Erinnerung geblieben sind?

Politiker habe ich bewusst nie eingeladen. Dennoch mache ich natürlich bei jeder Veranstaltung Politik. Ob man dies nun Kulturpolitik oder Lokalpolitik nennt oder auch Gesellschaftskritik. Kritik ist ja etwas Notwendiges. Zu Gast waren dennoch ehemalige Politiker wie Walter Momper, Christa Luft oder Hans Modrow, kürzlich Egon Krenz (86). Besonders ist jede SonntagsLese. Immer ist etwas anders. Ich habe noch niemals eine Wiederholung erlebt. Ich wusste nicht, wie viele Stimmungen man erzeugen kann. Auch aus dem Publikum kommt ja sehr viel Farbe ins Spiel. Ja, es ist auch ein schönes Spiel mit unbekanntem Ausgang. Das ist der Reiz, die Herausforderung, das waren und sind auch viele schlaflose Nächte. Denn alles ist live. Man kann nichts schneiden. Jedes Wort bedeutet auch Verantwortung.

Natürlich brennt sich Manches ein wie die SonntagsLese mit dem Lieblingsenkel Thomas Manns, Frido Mann. Er kam aus der Schweiz und ich wusste, dass er auf der Leipziger Buchmesse liest. Da habe ich ihn einfach nach Berlin geholt. Die Hütte, damals das Kino UNION, war voll und danach drängelten die Leute so, dass der Signiertisch fast umgefallen wäre. Stell Dir mal vor, beim Buchverkauf!!! Ist das nicht toll?! Auch eine große Errungenschaft: das Leseland DDR! Wir hatten in Suhl eine Kinderbibliothek auf zwei Etagen, mit Phonothek. Und die Bibliothekarin hat mir meine Wunsch-Schallplatte, meist Hörspiele, aufgelegt. Cool oder?

Auch in Erinnerung blieb mir Volker Braun. Die Hortnerin meiner Tochter hielt mich ein paar Tage nach der Lesung auf der Straße an und sagte, dass sie das sehr berührte, wie Volker Braun nach meiner Frage gefühlt fünf Minuten nachdachte. Dabei absolute Stille im Saal. Alle lauerten auf seine Gedanken. Eine echte Denkpause!

Oder Franziska Trögner. Sie kam und ich konnte meine große Tochter überzeugen, mitzukommen. Die Schauspielerin hat in „Charlie und die Schokoladenfabrik“ mitgespielt, mit Johnny Depp. Meine Tochter ist großer Tim Burton Fan und Johnny Depp ist natürlich auch einer ihrer Lieblinge. Als ich Frau Trögner am Buchstand nochmal darauf ansprach, wie es denn war, mit Tim Burton zu drehen, war meine Tochter weg. Schade, dachte ich. Doch ich sah auch, dass sich die Husse des Büchertisches bewegte und so schaute ich unter den Tisch. Dort saß mein Kind und hatte uns die ganze Zeit zugehört.

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Seit März 2024 wird die Veranstaltungsreihe im Alten Rathaus Friedrichshagen präsentiert?

Ich bin ja nicht zum ersten Mal im Rathaus. 2017 war ich schon einmal hier, ein Jahr lang. Doch da war alles noch sehr jungfräulich, im Umbau. Eine Kulturbaustelle. Es gab weder Fahrstuhl noch Bar und Tresen. Wir wischten jedes Mal den Staub von den Stühlen. Doch auch da hatten wir coole Veranstaltungen mit spannenden Menschen: Jens Weißflog, Alexander Osang, Jutta Wachowiak, Hajo Schumacher…

Jetzt ist alles schick, das Rathaus ist für mich nun zum Kulturhaus geworden mit Ratskeller, musikalischen Montagen (Dolle Molle), Tango-Tanzabenden, Kunstausstellungen. Da passt die SonntagsLese sehr gut rein. Und dann noch mit dem Fahrstuhl direkt in den feierlichen Ratssaal.

Am 29. September kommt Alf Ator. KNORKATOR wird 30 Jahre alt und das wird 2025 gefeiert. Das war für mich der Anlass. Als Journalistin will ich ja immer einen Anlass und wenn es keinen gibt, finde ich einen. Ich bin auch nie auf den aktuellen Buchmarkt oder Verlage angewiesen. Manchmal ist das Buch, das wir vorstellen, 15 Jahre alt.

Alf bringt auch Bücher, seine Comics mit. Ist mir egal, von wann sie sind. Jedes Buch ist ein Zeugnis seiner Zeit. Auch Comics. Und es ist klar, er liest nicht. Wir reden. Das ist übrigens auch etwas, das sich entwickelt hat.

Angefangen hat die SonntagsLese als klassische Lesung. Irgendwann begann ich, nach der Lesung Fragen vor dem Publikum zu stellen. Immer öfter kamen danach Leute zu mir und sagten: Bitte stellen Sie mehr Fragen. Das Buch können wir auch zu Hause lesen. Und so haben wir nun also ein Talkformat. Bei ROMANO

Was verbindet Dich mit dem Rathaus Friedrichshagen?

Na vor allem die Macher, allen voran Stefan Maiwald, den ich nun schon so lange kenne wie ich hier wohne: 15 Jahre. Dabei war unsere erste Begegnung im Bräustübl alles andere als prickelnd. Ich kaufte bei ihm ein Ticket für Hans-Eckardt Wenzel und fragte, wer denn der Veranstalter sei. Darauf hin fragte er: warum? Ich sagte, dass ich ein paar Ideen hätte, hier würde sich immer alles etwas langweilig wiederholen. Und was antwortete er? Frag ihn mal, ob er das noch weiß!

Stefan ist auch Kulturarbeiter wie ich und selbständig. Er weiß, was das bedeutet. Das verbindet uns sehr. Er ist verlässlich, unkompliziert, witzig. Und er kann sehr gut mit Menschen umgehen. Uns verbindet natürlich auch, dass wir beide im Sternzeichen „Schütze“ geboren sind.

Auf welche Gäste dürfen sich die Besucher demnächst freuen?

Am 29. September kommt Alf Ator. KNORKATOR wird 30 Jahre alt und das wird 2025 gefeiert. Das war für mich der Anlass. Als Journalistin will ich ja immer einen Anlass und wenn es keinen gibt, finde ich einen. Ich bin auch nie auf den aktuellen Buchmarkt oder Verlage angewiesen. Manchmal ist das Buch, das wir vorstellen, 15 Jahre alt. Alf bringt auch Bücher, seine Comics mit. Ist mir egal, von wann sie sind. Jedes Buch ist ein Zeugnis seiner Zeit. Auch Comics. Und es ist klar, er liest nicht. Wir reden. Das ist übrigens auch etwas, das sich entwickelt hat.

Angefangen hat die SonntagsLese als klassische Lesung. Irgendwann begann ich, nach der Lesung Fragen vor dem Publikum zu stellen. Immer öfter kamen danach Leute zu mir und sagten: Bitte stellen Sie mehr Fragen. Das Buch können wir auch zu Hause lesen. Und so haben wir nun also ein Talkformat. Bei ROMANO war es eine Talkshow. Er performte auch am Ende. Manchmal fragen mich Leute: Wann ist denn die nächste Sendung? Das finde ich witzig.

Das Konzept ist und bleibt: Nähe erzeugen, uns alle näher zusammen bringen, denn das fehlt in unserer Zeit. Menschen berühren. Bewegen. Bewusstsein schärfen. Verbunden sein. Sich austauschen. Sich zugehörig fühlen. Und vor allem: viel lachen. Einmal schrieb mir eine Frau, da war der Pfarrer Alexander Höner mein Gast: „Es war, als würde ich mit ihm allein auf einem Sofa sitzen.“ Im Saal saßen allerdings mit ihr und uns 80 Menschen.

(Fotos: SonntagsLese mit Egon Krenz / Rathaus Berlin Friedrichshagen im April 2024, moderiert von Danuta Schmidt)

Über Danuta Schmidt:

· Abitur an der ABF in Halle/Saale
· 1993 ein Semester Journalistik-Studium in Leipzig
· 1994-1998 Architekturstudium in Erfurt und Leipzig
· Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros, u.a. in Erfurt und Dresden
· Praktika (MDR Figaro, Antenne Thüringen, Sat1)
· Rundfunkautorin, MDR Sputnik(ehemals DT64)
· Ghostwriting für den Campus-Verlag, Berlin
· Redakteurin Berliner Abendblatt
· 6 Jahre Fernsehautorin und Redakteurin, rbb Berlin
· Buch „Architekturführer Neues Brandenburg“, Berlin 2006
· Online-Redakteurin, baunetz, Berlin
· seit 2009 unabhängige Journalistin für Fachmedien, Tageszeitungen, Magazine
· seit 2010 Veranstalterin/ Moderatorin der SonntagsLese, Berlin
· Buch „Tritt ein in meinen Garten – Prominente laden ein“, Berlin 2012